Non-binär – gibt es das wirklich?

In Bezug auf die Frage ob es denn non-binäres Geschlecht «überhaupt wirklich gibt» sind verschiedene Gründe zu nennen warum die Frage mit einem klaren «Ja» beantwortet werden muss.

Es gibt viele Hinweise, dass die strenge Zweiteilung von Geschlecht nicht haltbar ist. Aber unsere Gesellschaft ist in manchen Bereichen immer noch nach einer strikten Aufteilung in genau zwei Geschlechter organisiert. Deshalb scheint es so, als würde es etwas ausser den beiden sich ausschliessenden Kategorien «Mann» und «Frau» nicht geben. Viele Menschen glauben das sei ein Naturgesetz. Aus diesem Grund ist es hierzulande immer noch schwierig «ausserhalb» dieses Geschlechtersystems (z.B. mit einem non-binären Geschlecht) zu leben.

Zur Anzahl der non-binären Personen in der Schweiz gibt es keine offiziellen Zahlen. Verschiedene Untersuchungen innerhalb der trans Community zeigen, dass sich jeweils 20–60% als non-binär identifizieren (im Report 2015 U.S. Transgender Survey waren es 35% [p. 45]). Im Bericht der Schweizer Nationalen Ethikkommission ist zu lesen, dass wir für die Schweiz von 103’000 bis 154’000 Menschen mit non-binärer Geschlechtsidentität ausgehen können (NEK-Bericht, 2020, S. 9).

Eigentlich könnte der Umgang damit ja sein: «Ok, wenn du dich so fühlst, dann gibt es das auch». Aber so einfach ist es offensichtlich nicht immer, weil die oben beschriebene Überzeugung sehr tief verwurzelt ist. Es ist nicht einfach nachzuvollziehen, was wir aus eigener Erfahrung nicht kennen. Aber ein erster Schritt könnte ja sein, sich mit den hier präsentierten Fakten sowie den Lebensrealitäten non-binärer Menschen auseinanderzusetzen und so die Annahme von dem Gedanken von nicht-binärem Geschlecht zu erleichtern. Daraus könnte dann eine echte Akzeptanz und ein entsprechend wohlwollender Umgang mit non-binären Menschen entstehen.

Biologie

Die aktuelle biologische Grundlagenforschung ist zum Schluss gekommen, dass die binäre Sicht auf das Thema Geschlecht nicht haltbar ist (Artikel in Nature, 2015; Making Sex Revisited, Heinz-Jürgen Voß, 2010).

In der Tier- und Pflanzenwelt gibt es ganz viele Beispiele, wo es für eine Spezies normal ist, dass diese klare Zweiteilung nicht zutrifft (Wikipedia).

Auch beim Menschen ist diese klare Zweiteilung auf der Ebene von körperlichem Geschlecht oft nicht möglich und deshalb auch hier nicht sinnvoll. Zum Beispiel gibt es bei den Geschlechtschromosomen nebst den bekannten Ausprägungen XX/XY noch einige andere Variationen. Auch bei anderen Geschlechtsmerkmalen herrscht eine grosse Vielfalt. Intergeschlechtlichkeit (oder einfach Inter*) bezeichnet die Erfahrung in einem Körper geboren zu sein, der nicht den sozialen Normen und Erwartungen von «männlich» oder «weiblich» entspricht (s. Website Intervisibility). Alle Ausprägungen zusammengenommen sind nicht selten (etwa so häufig wie rote Haare), aber viele davon sind nicht einfach so sichtbar. Deshalb erfahren viele Menschen nie davon.

Für eine Gruppe von intergeschlechtlichen Menschen hat das Beharren der Gesellschaft auf der Zweigeschlechtlichkeit aber leider manchmal grosse Konsequenzen. Können Kinder nach der Geburt nicht klar einem Geschlecht zugeordnet werden, tun dies meist Eltern und Ärzte für sie – lange bevor sie urteilsfähig sind. Oft werden dann Geschlechtsverändernde Eingriffe vorgenommen. Mit den Folgen dieser über sie gefällten Entscheidungen und der Eingriffe müssen diese Menschen dann selber fertig werden. Viele Interessenverbände sprechen sich deutlich gegen solche Eingriffe im Kindesalter aus (z.B. zwischengeschlecht.org), da diese klar menschenrechtswidrig sind. Mehr zu Intergeschlechtlichkeit

Anthropologie und Geschichte

Es gibt viele traditionelle Kulturen, in denen es mehr als zwei Geschlechterkategorien gibt oder gab (wie z.B. mit den Two Spirits bei den amerikanischen Ureinwohnern, die Mahu in Hawaii oder die Muxe in Mexiko). In der Interaktiven Karte von PBS sehen wir wie viele es davon gibt. Hier ein Screenshot der Karte – hinter den gesetzten Pins sind Informationen zu der entsprechenden Kultur zu finden:

Aus den Anthropologischen Forschungen kommt auch der Sammelbegriff «drittes Geschlecht» (Wikipedia). Inzwischen gibt es aber auch einige wenige Staaten, die rechtlich ein «drittes Geschlecht» anerkennen (Austalien, Indien, etc.).

Auch in der europäischen Geschichte gibt es einige Hinweise jenseits der strengen Zweigeschlechtlichkeit. In Platon’s Mythos der «Kugelmenschen» (Wikipedia) gibt es auch etwas wie ein non-binäres Geschlecht.

Wenn es auch nicht ein «drittes Geschlecht» darin gab, hat doch mindestens das Preußische Allgemeine Landrecht bis 1900 Inter* Menschen zugestanden, dass sie mit 18 Jahren ihr Geschlecht frei wählen dürfen (Wikipedia).

Sprachwissenschaften

Den meisten Sprachen ist das binäre Geschlechtersystem tief eingeschrieben. Es gibt aber Sprachen, in denen sich neutrale Optionen entwickeln. Im Schwedischen gibt es nun das neutrale hen (Wikipedia). Im Englischen beginnt sich das singuläre they durchzusetzen (immerhin ist es Wort des Jahres 2015 gemäss der American Dialect Society).

Aber die deutsche Sprache tut sich da leider noch schwer. Früher oder später wird es aber auch für das Deutsche eine entsprechende Lösung brauchen (Vorschläge gibt es bereits – siehe «Sprache»).

Psychologie (Transidentität)

Auch trans Menschen mit einer «binären Geschlechtsidentität» zeigen, dass die feste «Verdrahtung» von körperlichem Geschlecht und der Geschlechtsidentität nicht gegeben ist. Wer die vielen Biographien von trans Menschen gelesen hat (siehe Bücher), kann nicht mehr im Ernst denken, dass diese ihre Transitionen bloss aus einer Laune heraus machen, sondern es wird klar, dass sie sie machen müssen. So wird auch Transidentität (binär oder non-binär) in der Psychologie als eine Normvariante von Geschlecht anerkannt.

«Trendforschung»

Es zeichnet sich ab, dass jüngere Generationen die strenge Zweiteilung von Geschlecht nicht mehr so selbstverständlich übernehmen. Gewisse Umfragen meinen eine neue Generation von genderfluiden jungen Menschen heranwachsen zu sehen (siehe Artikel in The Guardian, 2016).

Auch gibt es immer mehr Dokumentationen über Kinder die sich klar anders sehen als die vorgefertigten «Schablonen» von Geschlecht – wie der 8jährige Jake aus dem Film TOMGIRL (engl., 14 min).

Die Unternehmung PANONE hat eine sehr «non-binäre Farbe» bzw. Farbkombination zur Farbe des Jahres 2016 (Website PANTONE) gewählt – beschrieben als «… coinciding with societal movements toward gender equality and fluidity …».

GettyImages beschreibt den visuellen Trend «Genderblend» (Artikel von GettyImages, 2015), der unsere sich verändernde Wahrnehmung von Geschlecht dokumentiert.

Weitere Quellen


Text von: Evianne Hübscher
Erste Veröffentlichung: 27.7.2016 | Letztes Update: 14.3.2024