Non-binäres Geschlecht

Was genau bedeutet nun non-binäres Geschlecht?

Wenn Menschen sich nicht in den Kategorien «Frau» oder «Mann» repräsentiert sehen, wird das auch non-binäres Geschlecht oder genderqueer genannt (Merkblatt Non-Binarität als PDF). Wie bei den Grundlagen beschrieben, hat aber Geschlecht ganz viele Facetten.

Hier sollen alle diese Aspekte erklärt werden in Zusammenhang zu non-binärem Geschlecht. Die verschiedenen Ausprägungen von non-binärem Geschlecht sind hier beschrieben.

Binär oder nicht binär, das ist hier die Frage

…gender is not sane. It's not sane to call a rainbow black and white. ―Kate Bornstein

Binär (Wikipedia) bedeutet auch zweigeteilt. Non-binär (oder nicht-binär) wäre dann etwas was eben nicht zweigeteilt ist. Ein non-binäres Geschlecht ist also eines, welches sich dieser Zweiteilung entzieht.

Unsere Gesellschaft sieht Geschlecht als etwas sehr binäres an. Deshalb können die Lebensrealitäten non-binärer Menschen in der Schweiz eine grosse Herausforderung sein. Die Natur ist hier zwar entschieden anderer Meinung (siehe dazu Artikel in Nature, 2015) aber trotzdem wird eine solche strikte Einteilung gemacht – falls nötig mit «Gewalt».

Erzwungene Zweiteilung beim zugewiesenen Geschlecht

Zur Anzahl der non-binären Personen in der Schweiz gibt es keine offiziellen Zahlen. Verschiedene Untersuchungen innerhalb der trans Community zeigen, dass sich jeweils 20–60% als non-binär identifizieren (gemäss U.S. Transgender Survey waren es 35% im 2015 und 38% im 2022). Im Bericht der Schweizer Nationalen Ethikkommission ist zu lesen, dass wir für die Schweiz von 103’000 bis 154’000 Menschen mit non-binärer Geschlechtsidentität ausgehen können (NEK-Bericht, 2020, S. 9).

Es gibt Hinweise, dass der Anteil an non-binären Menschen sehr viel höher sein könnte. In einer Studie aus 2014 haben mehr als 35% der Teilnehmenden angegeben, sie würden sich bis zu einem gewissen Grad wie das «andere» Geschlecht, als sowohl Männer und Frauen und/oder «weder noch» fühlen (Artikel Psychology & Sexuality, 2014).

Binäres Geschlecht als der «Standard» (imaginäres Produkt dazu: «Knäckebrot & Essiggurke» 😉 )

Körperliches Geschlecht

Bei non-binärem Geschlecht geht es um die empfundenen Geschlechtsidentität und nicht um das körperliche Geschlecht. Non-binäre Menschen können das Bedürfnis verspüren, ihren Körper in einer medizinischen Massnahmen zu verändern d.h. es kann eine Körperdysphorie vorhanden sein. Es ist aber auch verbreitet, dass sie kein Bedürfnis haben, solche Veränderungen vorzunehmen oder nur einzelne (z.B. nur Bartepilation).

Es ist wichtig, Intergeschlechtlichkeit von non-binärem Geschlecht abzugrenzen, weil sich die meisten intergeschlechtlichen Menschen als Frauen oder Männer identifizieren und nur ein kleiner Teil als non-binär. Siehe dazu auch Grundlagen von Geschlecht.

Zugeschriebenes Geschlecht

Non-binäre Menschen fühlen sich in ihrem zugeschriebenen Geschlecht oft nicht 100% wohl. Einige würden sich eine «neutrale Option» (Wikipedia: Drittes Geschlecht) wünschen und andere fänden es sinnvoller, wenn diese Kategorisierung ganz aufhören würde. Es gibt aber auch solche, die keine Probleme damit haben, in gewissen Situationen einfach als ihr zugeschriebenes Geschlecht «zu gelten».

Geschlechtsidentität

Bei non-binären Menschen ist die Situation sehr unterschiedlich. Gewisse spüren ganz klar, dass sie kein Geschlecht haben (Agender), andere können spüren wie es wechselt (Genderfluid) aber es kann auch sein, dass jemand mit der ganzen Idee vom «gefühlten Geschlecht» gar nichts anfangen kann (siehe auch verschiedene Ausprägungen und Labels). Ob sich non-binäre Menschen als Trans identifizieren oder nicht, ist unterschiedlich und ihnen überlassen.

Selbstbeschreibung (Definition)

Einzelne non-binäre Menschen beschreiben ihre Geschlechtsidentität mit einer dieser Ausprägungen (genderfluid, neutrois, agender, etc.) oder sie beschreiben sie einfach als non-binär oder genderqueer (mehr zu Labels). Es gibt aber auch solche, die das ganze Konzept einer Geschlechtsidentität in Frage stellen.

Bei non-binären Menschen kann die Selbstbeschreibung sehr variabel sein. Dies kann unterschiedliche Gründe haben:

  1. Das Erforschen des eigenen Geschlechts ist eine lange Forschungsreise auf der die «Arbeitshypothesen» (d.h. Erkenntnisse über das eigene Geschlecht) sich ständig weiterentwickeln und immer mal wieder angepasst werden müssen.
  2. Je nach Kontext oder Gegenüber kann/muss ich meine Selbstbeschreibung vielleicht auch anpassen. Wenn ich an einem Trans*event auch sagen kann, dass ich non-binär bin, so bin ich z.B. bei Formularen zum Buchen eines Fluges wieder einmal auf mein zugewiesenes Geschlecht «zurückgeworfen» usw.
  3. Bei Menschen, die sich als Genderfluid sehen, ist es Teil von ihrem Selbstverständnis, dass ihr Geschlecht sehr variabel ist.

Genderpräsentation

Kleidung, Frisur, etc. sind in unserer Gesellschaft wichtige Mittel, um den anderen die eigene Geschlechtszugehörigkeit zu «signalisieren».

(Photo: The Gender Spectrum Collection, Zackary Drucker)

Viele non-binäre Menschen versuchen auf diesem Weg zu zeigen, dass sie ausserhalb der herkömmlichen Kategorien sind und mixen z.B. Stile von den herkömmlichen Geschlechtern. Es gibt aber auch non-binäre Menschen, die sich zwar klar entsprechend einer binären Kategorie kleiden sich aber trotzdem als non-binär verstehen. Oder es ist nicht selten, dass sie ihren Stil oft zwischen «eindeutig» und «gemischt» hin und her wechseln.

Sprache

Den meisten Sprachen ist das binäre Geschlechtersystem tief eingeschrieben. Meistens gibt es nur Pronomen, die entweder «männlich» oder «weiblich» sind. Manchmal ändern auch noch andere Teile der Sprache je nach Geschlecht (z.B. im Französischen). Es gibt aber Sprachen, in denen sich genderneutrale Optionen entwickelt haben. Im Schwedischen gibt es das neutrale Pronomen hen (Wikipedia). Im Englischen beginnt sich das singuläre they (Infos: singularthey.infoiheartsingularthey.com) langsam durchzusetzen – immerhin war es Wort des Jahres 2015 (American Dialect Society). Auch für die Anrede gibt es im Englischen einen Vorschlag, der von vielen übernommen wird: die Anrede Mx (Wikipedia Eng).

Aber die deutsche Sprache tut sich da noch schwer (aber auch hier gibt es bereits Vorschläge – siehe «Sprache»). Zwar gibt es im Deutschen das Es, aber viele der Betroffenen finden das keine akzeptable Lösung. Einige verwenden es aber für sich – im Sinne eines «Reclaiming». Früher oder später wird es aber auch für das Deutsche entsprechende Lösungen brauchen.

Der sogenannte Gendergap (Wikipedia) ist eine mögliche Lösung, um in der Sprache nicht-binäre Menschen mit einzuschliessen. Er kann mit einem Stern «*» oder einem Unterstrich «_» geschrieben werden z.B. Leser*in oder Leser_in.

Mehr zu Sprache und non-binäres Geschlecht >
Mehr zu Kommunikation mit und über non-binäre Menschen >
Mehr zu Genderstern & Co. >
Mehr zur Anwendung von Pronomen >

Genderattribution

Necker Würfel
Necker-Würfel

Für non-binäre Menschen ist die Genderattribution dahingehend problematisch, als dass die meisten Menschen (mindestens ausserhalb von Trans/feministischen Kontexten) gar keine anderen Kategorien als «Frau» oder «Mann» haben. Sie können mich deshalb auch nur als das eine oder andere sehen – auch wenn sie sich auf den Kopf stellen. Das ist dann so wie beim so genannten Necker-Würfel. Den können wir auch nur entweder «aufrecht stehend» oder dann «von oben» sehen – aber nicht beides gleichzeitig.

Wenn non-binäre Menschen die Erwartung haben, die Leute von der Strasse müssten sie doch eigentlich alle als non-binär «lesen», dann werden sie wohl oft ziemlich frustriert sein. Ohne das entsprechende Konzept zu kennen, können diese das auf keinen Fall leisten, das ist dann kein böser Wille sondern sind wohl natürliche Grenzen des Machbaren. Dass dies passieren kann, müssen sich zuerst die entsprechenden Konzepte etablieren.

Comic: Sind Sie ein Mann oder eine Frau? – Nein, bin ich nicht.

Sexuelle Orientierung

Die Geschlechtsidentität ist unabhängig von der sexuellen Orientierung. Non-binäre Menschen können also ganz unterschiedliche sexuelle Orientierungen haben. Nur sind für non-binäre Menschen die Begriffe der Hetero-, Homo- bzw. Bisexualität meist wenig hilfreich, weil die Begriffe darauf aufbauen, dass es genau zwei Geschlechter gibt und jemand sich entweder vom gleichen und/oder anderen angezogen fühlt.

Eine Lösung für das Problem können die Begriffe «gynephil» (angezogen von «Frauen» bzw. Femininität), «androphil» (angezogen von «Männern» bzw. Maskulinität) oder «ambiphil» (angezogen von beidem) sein (siehe Wikipedia Eng). Auch der Begriff «Pansexuell» wird von vielen non-binären Menschen benutzt (an Stelle von Bisexualität), weil er sagt, dass jemand «offen für alle Geschlechter» ist (Wikipedia).

(Photo: The Gender Spectrum Collection, Zackary Drucker)

Die Begriffe «Skoliosexuality» / «Ceterosexuality» sind eine Möglichkeit auszudrücken, dass jemand sich angezogen fühlt von non-binären Menschen: «… sexual orientation in which a person feels sexual attraction to nonbinary people, and perhaps other kinds of transgender people as well. Some believe the term is only to be used by non-binary people, though it was coined in the context of binary people’s attraction to non-binary people. …» (Quelle: nonbinary.org)

Der Begriff «Diamoric» kann auch benutzt werden für die Beziehungen zu oder eine Anziehung gegenüber non-binären Menschen: «… A diamoric relationship or attraction is one that involves at least one non-binary person. … A diamoric person is a person who centers NB people and NB partnerships in their life. … » (Quelle: androgyne-enjolras.tumblr.com)

Mehr zum Thema: siehe nonbinary.wiki

Genderstereotypen und Geschlechterrollen

Viele non-binäre Menschen scheinen sehr fein wahrzunehmen, wenn sie in die «Fänge» von Genderstereotypen oder Rollen geraten. Oft sind ihnen alle davon unangenehm. In einigen Fällen ist es vor allem «schmerzhaft» bei einen Stereotypen des zugewiesenen Geschlechts und die vom Gegengeschlecht werden oft nicht als ganz so problematisch empfunden.

Was viele auch als sehr belastend empfinden ist dieses generelle allgegenwärtige «gendern», welches viele ganz unbewusst immer machen. Warum kann jemand im Service eines Restaurants nicht einfach sagen «Grüezi» sondern muss sagen «Grüezi der Herr / die Frau»?

Zusammenhang zu «Trans»

Die Definition von trans Mensch (siehe Definition bei TGNS) ist, dass sich jemand mit dem bei Geburt zugeschriebenen Geschlecht nicht identifizieren kann (Cis-Menschen [Wikipedia] sind Menschen, die einverstanden sind mit dieser Zuschreibung). Deshalb werden sich viele non-binäre Menschen wahrscheinlich auch als trans sehen, weil sie sich im herkömmlichen System nicht repräsentiert sehen. Es kann aber auch gut sein, dass non-binäre Menschen sich nicht als trans sehen. Dies ist ihnen überlassen.

Non-binäre Menschen können soziale, medizinische und/oder rechtliche Transitionen machen. Diese Transitionen können das Ziel haben, näher an das «non-binäre Identitätsgeschlecht» zu kommen (z.B. möglichst wenige Geschlechtsmerkmale, neutraler Geschlechtseintrag im Pass – wo das möglich ist). Die Transitionen können aber auch in das «binäre Gegengeschlecht» zum zugeschriebenen Geschlecht gehen, weil dieses z.B. als «das kleinere Übel» gesehen wird oder die Person sich auf gewissen Ebenen in diesem Geschlecht wohl fühlt, sich aber trotzdem als non-binär versteht. Es kann aber auch gut sein, dass jemand nur auf sozialer Ebene transitioniert.

Mehr zu Transition für non-binäre Menschen >

Zusammenhang zu anderen «Gender-Bendern»

Es gibt ganz unterschiedliche Gruppen von Menschen, die aus verschiedenen Gründen herkömmliche Geschlechterkategorien in Frage stellen. Sie können politisch motiviert (z.B. «Genderaktivist*innen») oder künstlerisch inspiriert (z.B. Drag Queens/Kings) sein. Die Frage ist dabei nur, ob sie sich auch als ausserhalb der Kategorien fühlen oder ob sie es «nur» darstellen/diskutieren, um etwas bestimmtes erreichen zu können, sich aber klar als eines der binären Geschlechter fühlen. Diese Website wäre dann «eher weniger» für sie gedacht (aber natürlich auch offen für sie). Klar gibt es aber auch Menschen, die sich wirklich non-binär fühlen und auch politisch aktiv oder künstlerisch tätig sind.

Mehr zu Gender-Nonkonformität >

Weitere Quellen


Text von: Evianne Hübscher
Erste Veröffentlichung: 27.7.2016 | Letztes Update: 20.4.2024