Viele Menschen glauben, dass Non-Binarität und Transgeschlechtlichkeit ganz neue Arten zu leben sind. Dabei gibt es auf der ganzen Welt unzählige traditionell geprägte Kulturen, die mehr als zwei Geschlechter kennen.

Auch wenn es weltweit viele Traditionen jenseits der Zweigeschlechtlichkeit gibt, sind diese innerhalb dieser Kulturen trotzdem meist wenig sichtbar. Dies hat oft auch damit zu tun, dass viele dieser Traditionen im Rahmen der Kolonialisierung unterdrückt und ausgelöscht wurden. So können wir davon ausgehen, dass Geschlechtervielfalt in der Geschichte sehr viel häufiger war, als wir heute wissen.
Die Konzepte von Non-Binarität und Transgeschlechtlichkeit, wie wir sie in der heutigen Schweiz haben, sollten nicht auf die hier beschriebenen traditionellen Formen von Geschlechtervielfalt projiziert werden. Aber trotzdem gibt es auch viele interessante Parallelen. Gewisse Menschen aus diesen Kulturen grenzen sich klar gegen unsere Konzepte von LGBTQIA+ und Queerness ab, aber andere wiederum sind sehr offen für diese.
Hinweis: Die unten verlinkten Beiträge enthalten zum Teil trans-feindliche Aussagen, verschiedene Formen von Gewalt etc.
Karte mit Kulturen mit mehr als zwei Geschlechtern
Im Artikel A Map of Gender-Diverse Cultures (2023, Independent Lens) gibt es eine interaktive Karte mit Informationen zu über 30 Kulturen, die Geschlechter jenseits der Binarität kennen:
Liste der traditionellen Geschlechter aus der Karte:
- Muxe or Muxhe (Zapotec of Oaxaca)
- Nadleehi and Dilbaa (Navajo)
- Winkte (Lakota)
- Kathoey (Thailand)
- Fa’afafine (Samoa)
- Calabai, Calalai, and Bissu (Indonesia)
- Waria (Indonesia)
- Fakaleiti (Tonga)
- Mahu (Hawaii)
- Chuckchi (Siberia)
- Ninauposkitzipxpe (Blackfoot)
- Burrnesha (Albania)
- Femminiello (Italy)
- Ashtime (Maale, Ethiopia)
- Whakawahine (Maori, New Zealand)
- Quariwarmi (Inca, Peru)
- Mashoga (Kenya, Tanzania)
- Hijra (South Asia)
- Aravani (Tamil Nadu)
- Alyha and Hwame (Mohave)
- Lhamana (Zuni)
- Guevedoche (Dominican Republic)
- Bakla (Philippines)
- Xanith (Oman)
- köçek (Ottoman Empire)
- Transsexuality in Iran
- Travesti (South America)
- Skoptsy (Russia)
- Sekrata (Madagascar)
- Ankole (Uganda)
- Mino (Benin)
- Bangala (DR Congo)
- Mamluk (Egypt)
- Metis (Nepal)
In der interaktiven Karte (auf Google Maps) sind je Beschreibungen zu den traditionellen Kulturen zu finden:

Traditionelle Geschlechter jenseits der Zweigeschlechtlichkeit
Zu gewissen der Geschlechter bzw. Traditionen sind hier mehr Ressourcen zusammengestellt:
Māhū – Hawaii
In Hawaii gibt es die Māhū, das sind Menschen, «… die sowohl den männlichen als auch den weiblichen Geist in sich tragen und traditionell als Vertrauenspersonen, Heilkundige und Bewahrende alter Traditionen geachtet wurden» (Kumu Hina, 2025)
Mehr zu Māhū:
- Website: Lei Pua ʻAla – queer histories of Hawaiʻi
- Website: The Healer Stones of Kapaemahu (Film, Bücher, Ressourcen für Schulen etc.)
- Dokfilm: A PLACE IN THE MIDDLE (2015)
- Dokfilm: KUMU HINA (Dokfilm auf YouTube, über den Dokfilm, 2015)
Fa’afafine & Fa’afatama – Samoa
«Samoa hat historisch vier kulturelle Geschlechter anerkannt und tut dies auch weiterhin: Mann, Frau, Fa’afafine und Fa’afatama. Fa’afafine sind Personen, denen bei Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde; der Begriff bedeutet ‹in der Art einer Frau›. Fa’afatama sind Personen, denen bei Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde; der Begriff bedeutet ‹in der Art eines Mannes›.» (TTIE)
Mehr zu Fa’afafine und Fa’afatama:
- Artikel: Beyond Gender: Indigenous Perspectives, Fa’afafine and Fa’afatama (Natural History Museum Los Angeles County, 2020)
- Video: Fa’afafine: Samoan Boys Raised As Girls (10:12 Min. Video, englisch)
- Artikel: Miss Fa’afafine: Behind Samoa’s ‚third gender‘ beauty pageant (BBC, 2016)
- Artikel: Samoa’s ‚third gender‘ delicately balances sex and religion (Reuters, 2019)
- Artikel: Paradise, Gender and Place (Aesthetica, 2023)
- Studie: Peer-led Study on the Rights and Social Experiences of Trans and Gender Diverse People in: Samoa (Asia Pacific Transgender Network, 2022)
Calabai, Calalai & Bissu – Indonesien
Bei den Bugis (Sulawesi, Indonesien) gibt es fünf Geschlechter: «… Makkunrai und Oroani entsprechen den westlichen Konzepten von cis Frauen und cis Männern. Calalai sind geboren mit weiblichen Körpern, aber nehmen traditionell männliche Geschlechterrollen an … Calabai sind geboren mit männlichen Körpern, aber nehmen weibliche Geschlechterrollen an … Das fünfte Bugis Geschlecht ist Bissu, welches weder als männlich noch als weiblich gesehen wird, sondern die Totalität des Gender-Spektrums repräsentiert. …» (Asia’s isle of five separate genders, BBC, 2021)
Mehr zu Calabai, Calalai & Bissu:
- Artikel: Asia’s isle of five separate genders (BBC, 2021)
- Artikel: Beyond Gender Categories: The Bissu of Sulawesi (Counterpoint Navigating Knowledge, 2022)
Hijra – Südasien
In südasiatischen Ländern wie Indien, Pakistan und Bangladesh gibt es Hijras: «Hijras haben oft ein männliches Geburtsgeschlecht, kleiden sich jedoch und treten in traditionell weiblicher Weise auf. … Von Aussenstehenden oft als transgender bezeichnet, betrachten sich Hijras und die indische Gesellschaft jedoch meist als drittes Geschlecht – weder männlich noch weiblich, nicht transitionierend. Sie sind vielmehr ein ganz eigenes Geschlecht. Die Identität der Hijras ist jedoch komplex, und in jüngerer Zeit haben sich einige als trans identifiziert und geschlechtsangleichende Massnahmen angestrebt. … In letzter Zeit haben Hijras einige der Rechte und Freiheiten zurückgewonnen, die ihnen zuvor verwehrt wurden. Bis 2014 hatten Indien, Nepal und Bangladesch offiziell Menschen dritten Geschlechts als Bürger*innen mit gleichen Rechten anerkannt.» (The Third Gender and Hijras, Harvard Divinity School, 2018)
Mehr zu Hijras:
- Text und Audio: Anerkannt und diskriminiert: Indiens drittes Geschlecht (7:05 Min., 2024, deutsch)
- Video: Transgender in Pakistan | DW Documentary (12:25 Min., 2023, englisch)
- Video: Demigods: Inside India’s Transgender Community (26:13 Min., 2019, englische Untertitel)
- Text: The Third Gender and Hijras: Hinduism Case Study – Gender (Harvard Divinity School, 2018, englisch)
- Video: Understanding Gender: Narratives of Hijras in Bangladesh (10:10 Min., 2017, englische Untertitel)
Burrnesha – Albanien
In Albanien gibt es Burrneshas («Schwurjungfrauen»): «Eine alte Tradition in den Bergen im Norden Albaniens: Ohne jedes Zeremoniell oder eine Geschlechtsumwandlung schlüpfen Burrneshas in die Rolle eines Mannes, erhalten fast alle Privilegien, die Männer besitzen. Dafür dürfen sie nicht heiraten, bleiben Jungfrauen.» («Schwurjungfrauen» in Albanien – Leben wie ein Mann, um frei zu sein, Deutschlandradio, 2020)
«Ihre Ursprünge haben die Burrnesha in mittelalterlichen, mündlich überlieferten Gesetzessammlungen aus den Balkanländern Albanien, Montenegro, Kosovo, Bosnien und Herzegowina oder Nordmazedonien. Im sogenannten Kanun oder auch dem ‹Gesetz der Väter› wird von einem Leben in der Grossfamilie ausgegangen. Zudem wird genauestens beschrieben, wie eine Blutrache abzulaufen hat – und wer im Todesfall des Familienoberhauptes den ältesten ersetzen muss, oder darf. Der Kanun erlaubt es demzufolge auch, dass Frauen diese Position einnehmen – nachdem sie ihre ewige Jungfräulichkeit beschwören. In jüngeren Generationen beruhte der Schwur eher auf der persönlichen Entscheidung einer Frau. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts jedoch mussten Burrnesha auf den Segen des Dorfältesten hoffen – und hatten selbst für diese grundlegende Veränderung keine alleinige Entscheidungsfreiheit.» (Burrnesha: Frauen, die als Männer leben, National Geographic, 2023)
Mehr zu Burrneshas:
- Text und Video: Der Dokumentarfilm „WO/MEN“ über die albanischen Burrneshas (2025, deutsch)
- Text: Die letzten Burrneshas in Albanien: Durch Schwur zum Mann werden (Goethe-Institut, 2024, deutsch)
- Text: Burrnesha: Frauen, die als Männer leben (National Geographic, 2023, deutsch)
- Text: Leben wie ein Mann, um frei zu sein (Deutschlandradio, 2020, deutsch)
Two Spirit – Nordamerika
In Nordamerika gibt es die «Two Spirit», ein Begriff, der 1990 von indigenen Menschen geprägt wurde: «‹Two-Spirit› … wird … genutzt, um Menschen zu benennen, die vielfältige (oder nicht-normative) Sexualitäten, Geschlechter, Geschlechterrollen und/oder geschlechtliche Ausdrucksweisen verkörpern … und dabei an eine Zeit vor der Härte der Kolonialisierung erinnern, in der viele – wenn auch nicht alle – indigene Gemeinschaften Traditionen und Vorstellungen hatten, die non-binär waren. Einige Nationen kannten 3, 4, 5, 6 oder sogar mehr als 7 verschiedene Geschlechter, und diese Geschlechter waren nicht nur akzeptiert und geachtet, sondern hatten auch spezifische Rollen innerhalb ihrer jeweiligen Gemeinschaften. Heute würden wir diese Menschen im Allgemeinen als ‹Two-Spirit› bezeichnen.» (‘TWO-SPIRIT’ Turns 30!!, Two Spirit Journal, 2020)
Mehr zu Two Spirit:
- Journal: Two Spirit Journal
- Audio: Two Spirit (2:46 Min., 2017, SRF)
- Text: Im Geiste von Beth: Die Queerwerdung indigenen Raums (2017, Goethe-Institut)
Muxe – Mexiko
In Mexiko gibt es die Muxe (ausgesprochen: Mu-sches): «Die Muxe … gehören zum Volk der Zapotek*innen, die sich selbst weder als Mann noch als Frau sehen, sondern als ein eigenes ‹drittes Geschlecht›. Bei der Geburt als männlich identifiziert, verkörpern sie weibliche Eigenschaften – in ihrem Auftreten, Verhalten und in ihren Berufen – was ihnen früher Verachtung und Spott einbrachte. Heute jedoch, obwohl Vorurteile weiterhin bestehen, werden sie in ihrer Heimat im Allgemeinen akzeptiert – ja sogar bewundert.» (The muxe, Mexico’s ‚third gender‘, are part of a worldwide LGBTQ+ movement, Los Angeles Times, 2024)
«Dem mexikanischen Soziologen Alfredo Mirandé, der seit sieben Jahren das Phänomen der Muxes in Juchitán de Zaragoza erforscht, erzählte die Mutter einer Muxe, dass es sich um ein Geschenk Gottes handelt: ‹Muxe ist eine zapotekische Bezeichnung für eine Person, die physiologisch gesehen männlich ist, deren soziale und gesellschaftliche Eigenschaften jedoch weiblich sind.› Die Zapoteken sehen eine Muxe auch als eine Person, die zwei Seelen hat. Ein Geschenk Gottes sei ein solcher Mensch deshalb, weil eine Muxe sich um alte oder kranke Menschen kümmert. Und zwar auch besser, als eine Frau sich um sie kümmern könnte, da eine Muxe ‹weibliche Güte und männliche Stärke› in sich vereinen würde. Denn es ist so, dass ein Sohn oder eine Tochter heiratet und so sind die Eltern im Alter auf die Hilfe einer Muxe angewiesen. ‹Die zapotekische Identität der Muxe als Mann mit zwei Seelen hat ein eigenes Gender, also ein soziales Geschlecht mit eigenem Lebensstil und einem eigenen Platz in der Gesellschaft geschaffen›, so Alfredo Mirandé.» (Kein Paradies für Muxes, Goethe-Institut, 2024)
Mehr zu Muxes:
- Text: The muxe, Mexico’s ‚third gender‘, are part of a worldwide LGBTQ+ movement (Los Angeles Times, 2024, englisch)
- Text: Akzeptanz von trans Personen in Mexiko: Tradition, Romantisierung und Hass (taz, 2023)
- Text: In Juchitan soll es Menschen geben, die weder Mann noch Frau sind. Wir haben sie gefunden (Watson, 2017)
Weitere Quellen zu Kulturen mit mehr als zwei Geschlechtern
- Video: Two Genders? What History Tells Us About Gender & Identity (16:26 Min. EN, DW History and Culture, 2025)
- Artikel: A Map of Gender-Diverse Cultures (Independent Lens, 2023)
- Artikel: 5 Arten, aus dem Gender-Rahmen zu fallen (SRF Reise um den Globus, 2017)
Text von: Evianne Hübscher
Erste Veröffentlichung: 12.6.2025 | Letztes Update: 12.6.2025