Verschiedene Ausprägungen von non-binärem Geschlecht

Um non-binäres Geschlecht verstehen zu können, ist es wichtig zu wissen, dass es ganz verschiedene Ausprägungen davon gibt.

Von den verschiedenen Menschen, die sich als ausserhalb der herkömmlichen Geschlechterkategorien sehen (nicht-binäres Geschlecht), gibt es verschiedene Ausprägungen, die noch spezifischer ausdrücken, wie sie sich fühlen. Diese können als Geschlechts-Identitäten dienen oder als –Definition. Sie können hilfreich sein, um sich oder andere besser verstehen zu können, sie sollen aber auf keinen Fall einengen.

Definitionen haben eine gleiche Art von Nutzen, wie Wegweiser es einfach machen zu reisen: sie zeigen die Richtung an. Aber du kommst nicht an wo du hin willst, wenn du nur unter einem Wegweiser stehst und wartest, bis er dir sagt was zu tun ist. — Kate Bornstein

Arten von Ausprägungen

Die verschiedenen spezifischen Ausprägungen können grob in Gruppen eingeteilt werden:

  • Bezug zu den herkömmlichen Kategorien männlich / weiblich
  • In Frage stellen des binären Geschlechtsbegriffs oder von Geschlecht generell
  • Empfinden, ein ganz individuelles Geschlecht zu haben
  • Bezug zu einer bestimmten Kultur

Weiter können aber Menschen für sich auch einfach einen Oberbegriff (z.B. genderqueer) verwenden oder sich darauf beziehen einfach Mensch zu sein (d.h. sich nicht von «Gender Boxen» einschränken zu lassen). In der Schweiz haben wir uns auch noch den Begriff «Romanesco» ausgedacht.

Bezugnahme auf Kategorien männlich / weiblich

Als individueller «Mix» von Eigenschaften

Diese Identitäten/Definitionen können gut illustriert werden mit «Schiebereglern», die anzeigen, wie «weiblich» oder «männlich» sich jemand fühlt. Hierzu einige Beispiele:

Visualisierung Agender

Agender wäre so gesehen die völlige Abwesenheit von «Weiblichkeit» sowie von «Männlichkeit». Jemand kann aber auch sagen, mit dieser Ausprägung weniger den Bezug zu männlich/weiblich sondern eher das Infrage stellen von Gender generell ausdrücken zu wollen.

Bigender Illustration

Bigender wäre das gleichzeitige Vorhandensein von «Weiblichkeit» sowie von «Männlichkeit». Es kann aber auch sein, dass jemand sich dabei nicht auf  männlich/weiblich sondern andere Aspekte bezieht. Gewisse Menschen verwenden den Begriff aber auch für sich, weil sie wechseln zwischen den zwei Geschlechtern.

Genderfluid Illustration

Genderfluid sind Menschen, bei denen sich diese Aspekte über Zeit verändern. Es können sich also diese beiden Regler über Zeit in alle erdenklichen Stellungen verändern. Einzelne Menschen können aber auch hier sagen, dass für sie noch ganz andere Aspekte weder nur männlich/weiblich Teil von diesem Prozess sind.

Als die Beschreibung von einer «Richtung in der Entwicklung»

Eine weitere Kategorie von Bezeichnungen drückt aus, dass jemand in die «Richtung» eines der herkömmlichen Geschlechter neigt, sich aber nicht «vollständig als dieses fühlt». Beispiele sind: Trans feminin (oder Demigirl) / Trans maskulin (oder Demiboy).

Das umgekehrte wäre, das zugewiesene Geschlecht zu benennen, aber offen zu lassen, wie die «Destination der Reise» heissen soll. Beispiele sind: Mt_ / Ft_ / FtWTF / MtWTF. Dies kommt von z.B. FtM (female to male) – eine Selbstbezeichnung von gewissen Trans*menschen.

In Frage stellen von Geschlecht

Gewisse Menschen möchten mit ihrer Gechlechts-Bezeichnung vor allem die Dominanz der binären Geschlechter-Definition oder von Geschlecht generell in Frage stellen. Dies drücken Begriffe wie «Genderfuck» aus.

Ganz individuelles Geschlecht

Gewisse Menschen betonen auch, dass es so viele Geschlechter gibt wie Menschen und möchten dem Ausdruck verleihen, indem sie sich ihren individuellen Begriff für ihr Geschlecht kreieren. Stellvertretend für sie wäre hier das «Gendereinhorn» zu nennen – ganz einzigartig skizziert.

Illustration «Gendereinhorn»

Bezug zu einer bestimmten Kultur

Es gibt viele traditionelle Kulturen, die ein Drittes Geschlecht (oder eine Vielzahl von Geschlechtern) kennen wie z.B. mit den Two Spirits bei den amerikanischen Ureinwohnern, den Mahu in Hawaii oder Muxe in Mexiko (Website mit Auflistung verschiedener Kulturen, die mehr als zwei Geschlechter kennen). Wer aus einer solchen Kultur kommt, bezieht sich dann vielleicht auf den entsprechenden Begriff. Einen solchen Begriff für sich selber zu verwenden, ohne selbst aus dieser Kultur zu stammen, kann problematisch sein (Wikipedia: Kulturelle Aneignung).

Oberbegriffe

Wer lieber einen etablierten Oberbegriff verwenden möchte, muss (kann) sich für einen entscheiden von diesen beiden:

  • Non-binäres (oder nicht-binäres) Geschlecht
  • Genderqueer

… diese bedeuten einfach, dass jemand sich ausserhalb der herkömmlichen binären Geschlechterkategorien sieht. Die Abkürzung für non-binary ist «enby» (Artikel zur Herkunft von enby).

Der Begriff Zwischengeschlechtlichkeit wird zwar vor allem als Synonym für Inter* verwendet (auf körperliches Geschlecht bezogen), wird aber auch manchmal für non-binäres Geschlecht (auf Gender bezogen) verwendet.

Nur Mensch sein können

Viele möchten aber eigentlich nur «Mensch sein» – ohne weitere Definitionen. Sie sagen sich: «Ich bin doch nicht mühsam aus dieser alten Box rausgeklettert (das zugewiesene Geschlecht), um mich dann in einer neuen Box selber wieder einzusperren (eine non-binäre Geschlechtsidentität).» Aber manchmal kann es einfacher sein, wenn wir unseren Mitmenschen eine Definition geben können – das hält uns aber nicht davon ab, uns selber einfach als Mensch zu sehen und nichts mehr.

Der Begriff «Romanesco»

Der Begriff «Romanesco»  wird auch von einzelnen non-binären Menschen in der Schweiz verwendet. Der Begriff kommt von einem Workshop 2014 in Bern zum Thema genderqueer, wo die Idee für ein regelmässiges Treffen (siehe romanescos.ch) entstanden ist. Ursprünglich war es die Meinung, ein Romanesco sei ja eben eine «Mischung» aus Blumenkohl und Brokkoli (somit ein guter Begriff für non-binäres Geschlecht). Aber offenbar ist das biologisch nicht ganz so. Aber schön sind die Dinger eben trotzdem!

Visualisierung von Ausprägungen

Erklärende grafische Darstellungen

Um eine Ausprägung von nicht-binärem Geschlecht zu erklären, können manchmal grafische Darstellungen helfen. Dies ist vor allem einfach, wenn wir eine Bezugnahme auf die herkömmlichen Konzepte «männlich» und «weiblich» machen können:

Geschlecht auf einer Skala mit zwei Polen

Wenn die Visualisierung unabhängig von etablierten Konzepten sein soll, dann wird es anspruchsvoller.

Mehr zu Darstellungsarten …

Symbole

Es gibt verschiedene Symbole (Flaggen, Gender-Symbole etc.) für die einzelnen Ausprägungen.

Symbole von Ausprägungen

Die abgebildeten Beispiele sind (von links her): Flagge «Genderfluid», Symbole «Agender» und «Gender Questioning». Mehr zu den Symbolen (im Bereich non-binäes Geschlecht).

Warum über Ausprägungen und Bezeichnungen schreiben?

Diese Ausführungen über die verschiedenen Ausprägungen von non-binärem Geschlecht sind nicht gedacht als ein «Festschreiben» wie non-binäres Geschlecht zu sein hat. Dieser Text hat zum Ziel die Thematik für einzelne allenfalls besser verständlich zu machen – für Menschen, die sagen «das ist mein Thema» und auch für alle anderen.

Wenn die Beispiele und das in-Bezug-setzen zu anderen Konzepten zu einem besseren Verständnis beitragen, dann ist gut. Wenn nicht, dann braucht es das auch in keinster Weise, um non-binäres Geschlecht selber zu leben oder bei anderen zu respektieren. In dem Moment wo die Bezeichnungen zur Einengung werden – für einem selber oder für andere – ist es besser, sie hinter sich zu lassen. Deshalb ist es im Zweifelsfall wohl besser einfach von der «Ausprägung Mensch» auszugehen.

Die verschiedenen Ausprägungen von Identitäten bzw. Definitionen

Verbreitete Ausprägungen sind:

  • Agender: Jemand fühlt sich explizit ohne Geschlecht (andere Begriffe: Neutrois, Genderless, Gender-free).
  • Androgyn: Androgyn kann bedeuten, dass sich jemand als in der Balance zwischen männlich und weiblich fühlt. Es kann aber auch heissen, dass jemand sich eher wie ohne Geschlecht fühlt (siehe auch Agender).
  • Bigender: Jemand fühlt sich als zweigeschlechtlich («Man und Frau» oder auch etwas anderes) – gleichzeitig. Gewisse Menschen verwenden den Begriff aber auch für sich, weil sie wechseln zwischen den zwei Geschlechtern.
  • Demigirl bzw. Demiboy: Wenn jemand sich nur teilweise als «Frau» sieht (=Demigirl). Diese Person kann ein männliches oder weibliches zugewiesenes Geschlecht haben (andere Begriffe: Trans feminin / Trans maskulin).
  • Drittes Geschlecht (Third Gender): Begriff aus der Antropologie für Menschen, die ausserhalb der heteronormativen Geschlechterrollen leben (d.h. Trans* oder homosexuelle Menschen).
  • Gendereinhorn: Dieser Begriff soll verdeutlichen, dass jemand sein Geschlecht als einzigartig sieht. In diesem Sinne haben viele non-binäre Menschen ihre eigenen Begriffe kreiert, um auszudrücken, das sie sich ganz alleine definieren wollen, wenn es um ihr Geschlecht geht.
  • Genderfluid: Das Geschlechtsempfinden ist fliessend d.h. verändert sich immer wieder (andere Begriffe: genderflux).
  • Genderfuck: Dieser Begriff soll ausdrücken, dass jemand das ganze System von Geschlechterrollen oder -identitäten ablehnt (andere Begriffe: gender WTF).
  • Neutrois: Die non-binäre Geschlechtsidentität «neutrois» ist weder männlich noch weiblich, sondern geschlechtsneutral. Mehr zu neutrois …
  • Transgender: Obwohl der Begriff Transgender auch als Oberbegriff für binäre und non-binäre Trans*menschen verwendet wird (oder Trans*), gibt es auch einige, die ihn verwenden, um auszudrücken, dass sie «Gender transzendiert» haben.
  • Two-Spirit: Ein Begriff der Native-American für alle Menschen in ihren Stämmen, die ausserhalb der heteronormativen Geschlechterrollen leben (d.h. Trans* oder homosexuelle Menschen).

Für die einen sind diese Begriffe wichtige Bezeichnungen für ihre Identität. Für andere dienen sie vor allem dazu, sich selber mehr bewusst zu machen, was für sie wichtig ist in ihrem «ausserhalb der herkömmlichen Kategorien leben».

In einer Trans* Umfrage in den USA konnten die befragten Menschen angeben, welche der Begriffe aus einer Liste von Genderidentitäten auf sie zutreffen würden. Die Verteilung bei den non-binären Identitäten bzw. denen die non-binär sein können war die folgende (hier aufgelistet bis ≧ 3%): «… Non-binary 31%, Genderqueer 29%, Gender non-conforming or gendervariant 27%, Gender fluid/fluid 20%, Androgynous 18%, … Agender 14%, Two-spirit 7%, Bi-gender 6%, … Multi-gender 4%, Third gender 4%, Intersex 3%, …» Neben den vorgegebenen Begriffen wurden noch 500 weitere Genderbezeichnungen angegeben (p. 44, Report – 2015 U.S. Transgender Survey).

Vertiefungen zum Thema Ausprägungen

Weitere Quellen:


Text von: Evianne Hübscher
Erste Veröffentlichung: 27.7.2016 | Letztes Update: 12.2.2024