Coming-out als non-binär

Coming-out als non-binär ist ein Prozess, in welchem wir zuerst uns selber klar werden müssen, dass wir uns in den herkömmlichen Kategorien von Geschlecht nicht repräsentiert sehen (auch genannt «inneres Coming-out») und daraufhin anderen mitteilen, wie wir unser Geschlecht definieren («äusseres Coming-out»). Wir wünschen z.B. mit neuem Namen und neuen Pronomen angesprochen zu werden.

Generelles zu Coming-out

Der Begriff «Coming-out» ist vor allem relevant für Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen, die nicht der Heteronormativität entsprechen (siehe Wikipedia-Artikel für Hintergrundinformationen). Er ist aber auch relevant für andere Aspekte des Lebens, die nicht einer Norm entsprechen. Weil Coming-out so stark mit den jeweils geltenden Normen verknüpft ist, gestaltet es sich auch ganz unterschiedlich – je nach Umfeld, in dem wir uns bewegen.

Bei jeder Art von innerem sowie äusserem Coming-out gibt es unterschiedliche Herausforderungen, die zu meistern sind. Die Website du-bist-du hat das sehr schön zusammengestellt (sowohl für Homo- und Bisexualität wie auch für Trans*): Coming out – was ist das? Familie, Schule & Arbeitsplatz, und Militär Zum Coming-out als trans im Arbeitskontext gibt es Informationen bei trans welcome (von TGNS).

Was ist speziell bei einem Coming-out als non-binär?

Gewisse Aspekte von Coming-out gelten für alle Situationen und sind in den oben genannten Quellen erklärt. Hier soll vor allem genauer darauf eingegangen werden, was ganz spezifische Herausforderungen sind bei einem Coming-out als non-binär. Auf die konkreten Strategien wird dann weiter unten eingegangen.

Inneres Coming-out

Für ein «inneres Coming-out» ist wohl erschwerend, dass wir zuerst überhaupt wissen müssen, dass für unsere Geschlechtsidentität auch Optionen existieren, die jenseits von «Frau» oder «Mann» liegen. Für diese Bewusstmachung kann es für viele extrem hilfreich sein, endlich einen Begriff dafür zu haben und zu erfahren, dass es auch noch andere Menschen gibt, die so empfinden. Ein weiterer Schritt kann dann sein zu erforschen, wie denn die «Gestalt» des eigenen Geschlechtsempfindens wirklich ist. Dafür kann hilfreich sein, sich mit den verschiedenen Ausprägungen von non-binärem Geschlecht auseinanderzusetzen, um das eigene Geschlecht noch genauer formulieren zu können – sich und anderen gegenüber. Mehr dazu ist zu finden auf den Seiten Selbstverständnis, Ausprägungen und Labels.

Aus dieser Perspektive betrachtet scheint aber der Begriff «inneres Coming-out» für diesen inneren Prozess etwas sehr «binär». Zwischen dem Moment, in dem jemandem bewusst wird, nicht das zugewiesene Geschlecht zu sein und dem Punkt, an dem jemand sein non-binäres Geschlecht stimmig beschreiben kann, vergeht nicht selten recht viel Zeit. Das eigene «Eingestehen» nicht hetero sondern lesbisch zu sein, mag sich anfühlen wie ein klarer Zeitpunkt (was es wohl in vielen Fällen doch auch nicht ist). Aber im Falle einer nicht-binären Geschlechtsidentität ist das meistens eher ein gradueller Prozess. Deshalb ist es wichtig, sich von dem Begriff des «inneren Coming-out» nicht so «einschüchtern» zu lassen und ihn allenfalls für sich selber als «irrelevant» zu definieren. Ein anderer Begriff dafür könnte auch sein «innere Transition» – «eine ‹Transition› des eigenen Selbstverständnisses in eine stimmige Geschlechtsidentität» (mehr zum Thema Transition).

Äusseres Coming-out

Bei einem äusseren Coming-out als non-binär gibt es verschiedene Probleme, mit denen wir früher oder später konfrontiert sind. Das ist vor allem erst mal die Tatsache, dass andere Menschen das Konzept «non-binäres Geschlecht» oft nicht kennen oder nicht verstehen (wollen). Weiter ist es manchmal auch so, dass sie uns dadurch nicht «glauben», dass dies unser Geschlecht ist, oder sich legitimiert fühlen unser Geschlecht grundsätzlich nicht zu akzeptieren (z.B. «weil es das ja amtlich gar nicht gibt»). Aber eine der grössten Herausforderungen kann für uns werden, dass andere unser Geschlecht nicht «erkennen» (hier wird auch oft den Begriff «lesen» verwendet), weil sie in der Mainstream-Gesellschaft keine «Referenzpunkte» dafür haben.

Das Problem mit dem «Nicht-bekannt-Sein» existiert heutzutage bezüglich «schwul» und «lesbisch» oder auch bezüglich «trans» (in der binären Ausprägung) in den meisten Fällen nicht mehr. Akzeptanz ist ja leider nochmals ein anderes Thema. Aber erklärt werden müssen diese Begriffe hierzulande wohl nicht mehr. Anders ist das leider im Fall von non-binärem Geschlecht. Hier müssen wir oft noch viel Aufklärungsarbeit leisten. Die Tatsache, dass das sehr kräftezehrend sein kann, ist auch der Grund für den Start dieser Website. Die Hoffnung besteht darin, dass sie ein Teil dieser Arbeit übernehmen kann.

(Photo: The Gender Spectrum Collection, Zackary Drucker)

Trotz allen verfügbaren Wissens kann es für andere doch «schwierig» sein, weil sie in Bezug auf ihr eigenes Geschlecht ein so anderes Erleben haben. Diese Problematik kennen wohl alle trans Menschen bis zu einem gewissen Grad. Für uns ist wichtig zu verstehen, dass wir trotz dieses Unwissens bei anderen nicht an uns zweifeln sollten. Es ist klar, dass wir uns sofortiges Verständnis von anderen wünschen, aber dieses ist keine zwingende Voraussetzung dafür uns gut zu fühlen. In vielen Fällen kommt dieses Verständnis mit der Zeit, wenn wir mit Menschen länger in Kontakt sind. Zwar kann sich das manchmal «zäh» anfühlen, aber es fühlt sich dafür oft auch umso besser an, wenn unser Geschlecht mit der Zeit immer selbstverständlicher wird.

Im Gegensatz zum Grossteil der trans Frauen und Männer haben non-binäre Menschen meist das Problem, nicht als ihr Geschlecht gelesen zu werden. Auch einige trans Personen mit binärer Geschlechtsidentität haben dieses Problem. Aber in ihrem Fall ist eine Erklärung einiges einfacher. Mit einem nicht-binären Geschlecht sind wir gezwungen, uns anderen gegenüber zu definieren und oft auch zu erklären. Dieses «Nicht-erkannt-Werden» mag nicht für alle non-binäre Personen gleichermassen ein Problem sein. Aber wenn wir den Wunsch haben als etwas anderes als «Frau» oder «Mann» gelesen zu werden, haben wir in der heutigen Schweizer Mainstream-Gesellschaft schlechte Karten. Durch die oben erwähnte Unbekanntheit des Konzepts gibt es im Moment keine sicheren Rezepte, wie wir von anderen korrekt gelesen werden können. Aber durch geschickte Anpassungen unserer Genderpräsentation können wir wenigstens erreichen, nicht so eindeutig oder so schnell einem der binären Geschlechter zugeordnet zu werden.

Überbegriff oder spezifische Ausprägung?

Wenn wir eine konkrete aber wenig bekannte Geschlechtsdefinition haben (z.B. Einhorngender – für dieses Beispiel frei erfunden), stellt sich die Frage, wie wir unser Geschlecht bei einem Coming-out kommunizieren sollen – als Einhorngender oder als non-binär (mehr zu Ausprägungen und Labels). Viele non-binäre Menschen machen das eine und/oder andere, je nach Situation.

Als erstes müssen wir uns fragen, ob es uns wichtig ist, dass andere die genaue Definition unseres Geschlechts kennen und verstehen. Weiter müssen wir uns fragen, bei welchen Menschen und in welchen Situationen uns das wichtig ist. Bei den uns nahen Menschen ist es uns vielleicht wichtiger als bei Zufallsbekanntschaften. Aber auch bei nahen Menschen werden wir wohl erst in die Details gehen, wenn wir eine Chance sehen, dass diese von unserem Gegenüber auch nachvollzogen werden können.

In einem kurzen Radiointerview mag unsere spezifische Definition weniger wichtig sein als die Tatsache, dass wir uns nicht als «Mann» oder «Frau» definieren, weil wir schon froh sein können, wenn bei den Zuhörenden wenigstens dies ankommt. Ein weiterer Vorteil der Verwendung nur des Überbegriffs kann sein, dass wir uns Zeit nehmen können, unsere spezifische Ausprägung noch zu verändern und genauer zu erforschen.

Falls wir uns entscheiden, bei einem Coming-out die ganz spezifische Definition zu verwenden, kann es helfen zu sagen: «Ich definiere mein Geschlecht als Einhorngender – das ist ein Geschlecht auf dem non-binären Spektrum – und bedeutet spezifisch …». So besteht die Chance, dass die andere Person vielleicht wenigstens schon mal etwas von non-binärem Geschlecht gehört hat und uns somit allenfalls auf Anhieb besser verstehen kann.

Wir haben jedoch keinerlei Verpflichtung, unsere Identität zu vereinfachen, um es anderen leicht zu machen. Ebensowenig müssen wir unser Geschlecht lange definieren. Wir können die anderen bitten, uns kein Geschlecht zuzuschreiben und uns geschlechtsneutral anzusprechen. Hier ist wirklich wichtig, dass wir besser herausfinden, was uns dahingehend wichtig ist. Probiert verschiedene Strategien aus und schaut, was sich gut anfühlt.

Coming-out oder nicht?

Neben der Frage wie wir uns bei einem Coming-out definieren, ist auch wichtig zu wissen, wann wir uns als non-binär zu erkennen geben wollen und wann nicht. Es kann für uns nervenschonend sein, wenn wir in gewissen Situationen einfach stehen lassen, dass andere uns als unser zugewiesenes Geschlecht oder das «andere binäre Geschlecht» lesen. Bei Menschen, mit denen wir immer wieder zu tun haben, kann es für uns wichtig sein dies zu klären. Aber wenn wir mit allen Schaffner*innen und Baristas dieses Gespräch führen wollen, brennen wir wohl früher oder später aus. Viele non-binäre Menschen spüren hier zwar eine Verpflichtung, es trotzdem «für die Sache» zu tun. Klar, auch solche Kurzbegegnungen wären Chancen für Aktivismus. Aber da die Begegnungen sehr kurz sind, ist es fraglich, ob sie dann wirklich eine nachhaltige Wirkung zeigen. Hier wäre also die Empfehlung: Falls es euch gar keine Kraft kostet beim Bestellen des Kaffees die Person darauf aufmerksam zu machen, dass es auch noch anderes als «Damen» und «Herren» gibt, dann «go for it». Aber dabei müsst ihr wohl noch eine Kraftreserve einrechnen, allenfalls mit der Person ein unangenehmes längeres Gespräch führen zu müssen. Also im Zweifelsfall vielleicht einfach direkt den Kaffee geniessen und entspannen. Ihr seid niemandem etwas schuldig, schaut primär auf euch.

Besonders in Situationen, wo ihr länger mit Menschen zu tun habt (z.B. in der Schule oder beim Job) kann sich die Frage stellen, ob ihr ein Coming-out machen wollt oder nicht. Hier solltet ihr euch auf keinen Fall unter Druck setzen lassen. Falls ihr euch zu diesem Schritt entscheidet, ist es wichtig, den Prozess gut zu planen (Informationen dazu findet ihr bei du-bist-du oder trans welcome bzw. nehmt Beratungsangebote in Anspruch). Doch wie gesagt, ist es auch total ok ein «Doppelleben» zu führen – das ist bei Superheld*innen so üblich 😉

Pronomen

Wenn wir andere Pronomen als «sie» oder «er» oder keine Pronomen verwenden, dann ist dieses Thema auch Teil des Coming-out. Da es in der deutschen Sprache keine etablierten Standards gibt, müssen wir anderen ganz spezifisch erklären, was unsere Pronomen sind (siehe auch Pronomen Anwendung).

Pronomen können auch ein Weg sein, ein Coming-out als non-binär zu machen, ohne über Geschlechtsidentität etc. sprechen zu müssen. Wenn unser Gegenüber aufmerksam und weltoffen ist, kann dies ausreichend sein, um klar zu machen, dass wir uns als non-binär definieren. Unsere Pronomen können wir z.B. «unterbringen» in Vorstellungsrunden oder in unserer E-Mail-Signatur.

Verschiedene Strategien

Für ein Coming-out gibt es je nach Situation unterschiedliche Strategien.

«Grosses» Coming-out

Wenn wir ein Coming-out planen bei Menschen, die uns nahestehen, dann ist es uns oft ein Bedürfnis, uns etwas genauer erklären zu können. Viele von uns wählen den Weg, dafür einen kleinen oder grösseren Text zu verfassen. Diese Website ist aus der Idee heraus entstanden, für solche Texte Material zur Verfügung zu stellen. Dazu könnt ihr Texte und Grafiken von hier in eure Dokumente kopieren oder darauf verweisen (mehr dazu siehe unten).

Vorstellungsrunden

Wenn ihr an Veranstaltungen (z.B. Seminaren) teilnehmt, könnt ihr eure Pronomen in Vorstellungsrunden mitteilen – wenn das für euch stimmig ist. Fühlt ihr euch sicher oder leitet ihr die Veranstaltung selber, könnt ihr auch vor der Vorstellungsrunde anregen, dass die Vorstellung ein Pronomen enthalten sollte (z.B. «es sollen doch bitte alle kurz ihren Vornamen, ihr Hauptfach und ihr Pronomen sagen»). Ihr könnt aber auch einfach zu eurem Namen noch die Pronomen dazu sagen z.B. «mein Name ist ‹Kim› und mein Pronomen ist ‹Kim›», wenn ihr an der Reihe seid. Doch auch hier gilt, macht das nur, wenn ihr euch sicher fühlt.

Online-Profile

Eine weitere Möglichkeit für ein Coming-out können Profile auf Online-Plattformen sein. Gewisse Plattformen wie z.B. Facebook oder queere Dating-Plattformen bieten zum Teil viele Möglichkeiten, das Geschlecht und Pronomen zu definieren. Bei anderen Plattformen müssen wir etwas kreativ werden (z.B. einfach hinter den Namen setzen) oder es einfach in einen «Bio-Text» schreiben. Bei Online-Plattformen ist wichtig, dass ihr euch überlegt, wer diese Information alles sehen kann!

E-Mail-Signaturen

Unsere Signaturen stellen einen guten Ort dar, entweder unsere Pronomen oder eine weiterführende Erklärung unterzubringen. Mit nur Pronomen (hier «es») kann das z.B. so aussehen:

Kim Muster (Pronomen: es)
Logopäd*in

Eine längere Erklärung (hier ohne Pronomen) könnte so aussehen:


kim@kimmuster.ch · www.kimmuster.ch

Ich definiere mein Geschlecht als non-binär (mehr Informationen: www.nonbinary.ch) und verwende keine Pronomen. Ich bitte um geschlechtlich unspezifische Anreden wie „Guten Tag Kim Muster“.

In Mails oder Briefen kann es auch helfen, nebst diesen Hinweisen zusätzlich die fremde Person ebenfalls geschlechtsneutral anzusprechen (z.B. «Guten Tag Peter Meier»), auch wenn wir davon ausgehen können, dass diese Person eigentlich als «Herr» angesprochen werden möchte. Es kann zwar sein, dass binäre Personen das als «unhöflich» empfinden (macht es also im Zweifelsfall nicht), aber bei offenen Menschen hat sich diese Strategie gut bewährt, um ihnen mit einem Beispiel zu zeigen, wie eine neutrale Ansprache aussehen kann (mehr zu geschlechtsneutraler Ansprache etc.). In den meisten Fällen kommen die Antworten dann auch so wieder zurück.

Visitenkarten

Auch bei Visitenkarten könnt ihr wie bei den E-Mail-Signaturen nur Pronomen oder eine längere Erklärung angeben. Eine noch ausführlichere Variante könnte sein, dass ihr auf der Rückseite der Karte eine Definition von non-binärem Geschlecht unterbringt.

Visitenkarte mit Definition auf der Rückseite

Wer eine solche Variante für sich möchte, kann mit uns Kontakt aufnehmen, denn wir haben entsprechende Vorlagen gemacht.

Unsere Gender Präsentation

Wie oben erwähnt, ist es nicht einfach, durch unser Äusseres zu erreichen korrekt angesprochen zu werden. Je nach Umfeld kann ein entsprechendes Styling helfen, anderen einen Hinweis zu geben, dass wir uns nicht innerhalb der geschlechtlichen Binarität definieren; dadurch fragen sie auch eher nach Pronomen etc.

(Photo: The Gender Spectrum Collection, Zackary Drucker)

Natürlich sind wir niemandem solche «Signale» schuldig. Aber wenn es uns das Leben erleichtert, kann der Aufwand gerechtfertigt sein. Ja, und dies kann auch eine Chance für uns sein, noch mehr über unsere Geschlechtsidentität herauszufinden.

Zum Thema Transition >

Material von nonbinary.ch

Diese Website ist aus der Idee heraus entstanden, u.a. für Coming-out-Texte Material zur Verfügung zu stellen. Dazu könnt ihr alle Texte und Grafiken frei verwenden. Nur wenn Rechte an Materialien nicht bei nonbinary.ch liegen (dann hat es einen entsprechenden Hinweis), müsst ihr vielleicht Quellenangaben machen oder die Rechte auch noch für euch einholen. Für unser Material müsst ihr keine Erlaubnis einholen und ihr müsst uns auch nicht zitieren. Aber wenn ihr es machen wollt, dann freuen wir uns natürlich schon auch über Quellenangaben (z.B. Quelle: nonbinary.ch). Falls ihr die Inhalte nicht kopieren wollt, könnt ihr auch direkt auf die entsprechenden Stellen verweisen bzw. verlinken (z.B.: Merkblatt „nicht-binäres Geschlecht in der Sprache“: www.nonbinary.ch/merkblatt-sprache/).

Wenn ihr unsicher seid bezüglich der Verwendung von Material von dieser Website, schickt uns eine Mitteilung.

Weitere Quellen zu Coming-out


Text von: Evianne Hübscher
Erste Veröffentlichung: 13.1.2017 | Letztes Update: 11.10.2023