Warum hat es im Logo dieser Website das Menschlein mit dem halben Rock?

4.12.2021 · Chri Hübscher

Diese Website hat seit 2016 als Logo diese Visualisierung eines «Menschleins» mit einem «halben Rock», die wir auch immer wieder in Medienbeiträgen sehen – jüngst auch auf dem Cover des Beobachters (Mann, Frau – die Grenzen verschwimmen, 19.11.2021). Einige non-binäre Menschen sind aber nicht sehr begeistert über diese Art der Darstellung. In diesem Text mache ich mir Gedanken dazu und wollte auch mit einem Fragebogen Feedback dazu einholen.

Titelseite Beobachter (November 2021)

Das Coverbild des Beobachters sowie die Tatsache, dass sich die Zeiten ändern und das Thema im Moment sehr viel Aufmerksamkeit bekommt (hoffentlich auch dank des Crowdfundings von TGNS), hat mich dazu bewogen, mir nochmals vertieft Gedanken dazu zu machen.

Unterstütze nicht binäre Rechte.

Was ist das Problem?

Diese Visualisierung ist bei Medienschaffenden recht beliebt, wenn sie Beiträge zu non-binärem Geschlecht publizieren. Sie erscheint aber auch immer mal wieder auf verschiedensten Publikationen aus der LGBTQIA+ Community (z.B. The Queens’ English). Vergleichbare Visualisierungen gibt es aber auch aus anderen Kulturen wie z.B. die Figur von «Ardhanarishvara Shiva» (in Encyclopaedia Britannica). Einige non-binäre Personen (kurz auch «Enbies») finden aber diese Darstellung auch problematisch (höre z.B.: Podcast «Willkommen im Club»: Nonbinär & genderqueer – was bedeutet das? – ab Min. 41:00). So haben mich auch schon einzelne non-binäre Personen von sich aus auf das Logo der Website angesprochen oder mir auf Nachfrage hin bestätigt, dass sie das Symbol nicht so toll finden.

Zwar würden auch diese Personen wohl nicht abstreiten, dass es einzelne non-binäre Menschen gibt, für welche eine Analogie «50% Weiblichkeit und 50% Männlichkeit» mehr oder weniger passend sein könnte. Aber auf der anderen Seite gibt es eben unzählige Ausprägungen non-binären Geschlechts, für welche das in keinster Weise passt. Die Tatsache, dass Röcke und Hosen keine sinnvolle Darstellung für Weiblichkeit und Männlichkeit sind, kommt dann noch obendrauf (für die Differenzierung von «Identität» und «Ausdruck» siehe Grundlagen zum Thema Geschlecht). Aber für diese Problematik müssten wir dann erst mal bei den binären «Weiblein» und «Männlein» weiter diskutieren.

Buchcover
The Queens’ English (Buch Website | bei Queerbooks)

Ich bin mir sicher, dass es noch andere Ebenen gibt, auf denen die Darstellung kritisiert werden kann. Aber hier sollte das erstmal reichen.

Was soll/kann ein Symbol leisten?

Nun können wir erst mal argumentieren, dass es gar keine visuelle Repräsentation des Konzeptes braucht. Aber in der heutigen so stark visuell geprägten Gesellschaft stehen wir mit diesem Standpunkt wohl auf verlorenem Posten. Wenn wir also davon ausgehen, dass eine visuelle Darstellung wünschenswert ist, dann müssen wir uns fragen, was diese leisten soll bzw. auch was sie leisten kann und was nicht.

Wie kann ich das Konzept «non-binäres Geschlecht» visuell ausdrücken? Um die Problematik besser verstehen zu können, ist es hilfreich bei der Sprache zu beginnen. Welches Wort drückt denn das Konzept am besten aus? Im Moment scheint sich die internationale Community einig zu sein, dass es hilfreich ist, sich auf «non-binär» zu einigen (ob «non» oder «nicht» ist hier nicht der Punkt). Klar gibt es auch noch «genderqueer» und andere Begriffe, die von Menschen bevorzugt werden. Aber im Moment ist «nonbinary» klar an der Spitze (siehe z.B. Gender Census 2021).

Was sind Vor- und Nachteile des Begriffs «non-binär»? Neutral gesehen drückt er nur aus: «nicht (ausschliesslich) Frau oder Mann». Mehr sagt er erstmal nicht aus. Ob einzelne das auch (so) verstehen, ist dann nochmals eine separate Diskussion. Ein Nachteil des Begriffs ist sicher, dass er in keinster Weise sagt, was denn das nun ist – sondern nur was es nicht ist. Diese Eigenschaft ist aber gleichzeitig auch die grösste Stärke des Begriffs. Rein logisch betrachtet, schliesst er auch nichts aus – ausser «Männer» und «Frauen», aber das soll er ja auch.

Wir können natürlich argumentieren, dass wir dafür einfach ein neues Wort schaffen. Das löst aber auch nicht das Problem, dass wir dieses definieren müssen. Hinzu kommt dann hier noch die Problematik, dass wir dieses Wort auch noch zuerst etablieren müssen. Denn sonst sagt es für aussenstehende überhaupt nichts Verstehbares aus. Die einzige Chance, die wir vor diesem Zeitpunkt einer Etablierung haben, ist dass wir auf bekannte Konzepte Bezug nehmen, d.h. Analogien nutzen.

Buch-Cover «Ardhanarisvara» (Neeta Yadav, 2001)

Ich würde behaupten, dass für eine visuelle Umsetzung die genau gleichen Problematiken relevant sind – wenn auch noch ein paar mehr dazu kommen. Wie kann ich ein Konzept am besten visuell kommunizieren, wenn es noch keine etablierte Bildsprache gibt? Dies ist auch die exakt gleiche Herausforderung, welche non-binäre Menschen haben, wenn sie als non-binär gelesen werden wollen. Das heisst, wenn sie möchten, dass andere ihnen ihr non-binäres Geschlecht ansehen – ein Thema, welches ich versuche mit meinem «Non-Binary Gender Design» zu adressieren (mehr zu Non-Binary Gender Design).

Weil es so anspruchsvoll ist, Non-binarität visuell auszudrücken, versucht das Symbol auf bekannte Konzepte Bezug zu nehmen. Zusätzlich könnten wir das Symbol auch so lesen, dass es lediglich die Negation der Binarität ausdrückt (wie der Begriff «non-binär») und gar nichts mehr. Aber es ist auch klar, dass das Symbol eben auch anders interpretiert werden kann.

Ausdrücken was es ist vs. worum es geht

Wir können uns nun fragen, ob der Anspruch an ein Symbol ist, dass es ausdrücken kann, was das Konzept ist oder ob es erst einmal auch reicht, wenn es einen Hinweis gibt worum es geht.

Ich würde behaupten, dass es auch hier im Bereich Sprache eine Analogie gibt. Viele non-binäre Menschen sagen bei einem Coming-out z.B.: «Ich bin neutrois, das ist eine Geschlechtsidentität auf dem non-binären Spektrum». Dabei haben sie in der Aussage einen Begriff (neutrois), der präziser ausdrückt, wie sie ihr Geschlecht verstehen, der aber wahrscheinlich auch vielen Menschen unbekannt ist. Wenn sie zusätzlich aber noch das «non-binäre Spektrum» erwähnen, erhöht sich die Chance wieder, dass andere etwas damit anfangen können. Die anderen werden dadurch nicht viel besser verstehen, was der Begriff «neutrois» im Spezifischen bedeutet, wenn sie ihn nicht schon kennen. Aber wenn sie von «non-binär» schon gehört haben (die Chance ist hier höher), dann sollten sie eigentlich nicht mehr davon ausgehen, dass die Person vor ihren Augen sich vollständig als Frau oder Mann identifiziert. [Ja Enbies I hear you! Sie machen es oft trotzdem – diese Logik werden wir wohl nie ganz entschlüsseln können.] Also haben wir eigentlich schon mal was gewonnen. Das schützt uns dann aber in keiner Weise davor, dass die Leute allenfalls sagen «Ah, ich verstehe, du bist 50% Frau und 50% Mann». Jetzt müssen wir uns die Frage stellen, ob wir das Missverständnis ausräumen wollen. Wenn uns wichtig ist das klarzustellen, dann müssen wir nun also noch erklären was «neutrois» bedeutet (oder wir schicken sie z.B. auf die Website geschlechtsneutral Ø). Aber eben, vielleicht begnügen wir uns auch damit, dass sie uns wenigstens nicht mehr als Frau oder Mann sehen – mindestens theoretisch.

Wenn wir nun nach einer visuellen Darstellung suchen, müssen wir analoge Abwägungen machen. Hier sind die Optionen auch: «lange kein Verständnis von der Gegenseite aber später dafür (allenfalls) auch keine Missverständnisse» gegenüber der Option «schnell mal ein sehr unpräzises Verständnis, welches wir dann später aber wieder ‹aufräumen› müssen» – schnell mal einen «Fuss in der Türe haben». Welche Strategie schneller, ökonomischer und nachhaltiger ist, lässt sich wahrscheinlich fast nicht beurteilen ohne aufwändige Computersimulation (das wäre ja vielleicht mal eine Informatik Masterarbeit wert). Wir sehen also, dass wir hier immer Abwägungen machen müssen, wenn wir uns für ein Logo entscheiden.

Warum habe ich mich ursprünglich für das Menschlein entschieden?

Warum habe ich vor fünf Jahren diese Art der Visualisierung gewählt? Eine Frage, die ich mir gestellt habe, ist was meine wichtigste Zielgruppe für die Website ist. Damals war die Antwort auf diese Frage sehr eindeutig: «Menschen die ‹non-binär sind›, es aber nicht eindeutig wissen und auch keine genaue Vorstellung von diesem Konzept haben» (wie ich im Blogbeitrag zur Vision der Website beschrieben habe). Wir können sie auch «enby questioning» nennen. Für mich persönlich ist das immer noch eine unheimlich wichtige Zielgruppe, für welche ich bereit bin, sehr viel anderes zu «opfern». Wenn ich eine Chance sehe, dass ich diesen Menschen mit meiner Arbeit helfen kann, dann macht mich das sehr glücklich und gibt mir die Energie, Stunden unbezahlter Arbeit zu investieren, um die Website noch besser zu machen.

Visitenkarten von nonbinary.ch
Die «Flyer» von nonbinary.ch

Warum glaube ich, dass dieses Logo dieser Gruppe hat helfen können im Vergleich zu einem anderen Symbol? Wie ich oben erläutert habe, kann es gewisse Vorteile haben, schnell einen «Fuss in die Türe zu bekommen». Übertragen auf diese Zielgruppe würde dies heissen: Welches Symbol hilft am effektivsten ihre Aufmerksamkeit zu binden, wenn sie z.B. an einem Tisch voller Flyer vorbei gehen? Bei welchem Symbol wird ein Impuls angestossen «ah, das könnte etwas mit mir zu tun haben»? Und welche Symbole gehen einfach im Rauschen unter? Das ist ein zentraler Evolutionsdruck in der freien Flyer-Wildbahn. Kann der Flyer ein Leben verändern oder nicht? Es geht hier nicht darum, die Website als das grandiose Mittel zur Rettung aller «enby questioning Personen» zu stilisieren. Es geht nur darum zu zeigen, was die richtige Abwägung für ein Potential haben kann.

Natürlich kann argumentiert werden, dass auch genau diese Gruppe dann ein sehr ungenaues Bild des Konzeptes bekommt. Aber dieser Zustand dauert maximal so lange, bis die Person sich auf der Website etwas informiert hat. Wenn eine eigene Betroffenheit vorliegt, dann ist es auch sehr wahrscheinlich, dass die Person genau dies tun wird.

Finde ich das Menschlein heute immer noch die beste Lösung?

Die «enby questioning Personen» sind für mich auch heute immer noch eine sehr wichtige Gruppe. Aber sehr wahrscheinlich haben auch sie sich entwickelt. Heute ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass sie auch bereits mit «nonbinary» grob was anfangen können. Denn in den Schweizer Medien erscheinen immer mehr Beiträge zum Thema (siehe z.B. Medienbeiträge Schweiz oder Newsletter #4). Dies würde dafür sprechen, dass dem Symbol nicht mehr die gleiche Bedeutung zukommt wie noch vor fünf Jahren. Hier kommt auch noch dazu, dass wohl immer mehr Menschen die Website über Suchmaschinen finden und nicht über Flyer.

In der Vision war für mich die zweitwichtigste Gruppe die Menschen, bei denen non-binäre Personen ein Coming-out machen wollen wie z.B. Familienangehörige (siehe auch Vision der Website). Wenn diese schneller und einfacher über non-binäres Geschlecht informiert werden, dann bringt das den Enbies eine klare Erleichterung. Für diese Gruppe gilt aber das «Flyer Szenario» von oben nicht wirklich, weil sie die Information meist direkt von der non-binären Person bekommen.

Logo der «Dykon Fagatron» Party-Reihe (Quelle: Buch Queer X Design)

Aus den genannten Gründen kann argumentiert werden, dass dem Menschlein nicht mehr die gleiche «Wichtigkeit» zukommt wie damals. Gäbe es nun aber trotzdem Gründe, auch heute noch an dem Symbol festzuhalten? Nostalgie …? Ein mögliches anderes Argument dafür könnte sein, dass wir es als Form der Wiederaneignung (engl. reclaiming) verwenden, wie das mit dem Begriff «queer» passiert ist, wie sich einzelne trans Personen den Begriff «Transe» wieder aneignen oder wie das «Dykon Fagatron» (Artikel zum Buch «Queer x Design»). Ich persönlich könnte mir vorstellen das für das Logo so zu sehen, bin mir aber auch noch nicht sicher, ob ich es deshalb beibehalten würde.

Aber wie sieht es aus mit den Menschen, welche diese Website besuchen und den Newsletter lesen? Die könnte ich ja fragen, was ihre Meinung dazu ist …

Fragebogen zum Thema

Fragebogen zur Frage «Was mit dem Logo der Website tun?»:

— der Fragebogen ist geschlossen —

Blogbeitrag: Auswertung Befragung zum Logo der Website (23.6.2022)


Letztes Update: 23.6.2022